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Ein Wanderabenteuer des DAV, Sektion Neustadt, im Jahre 1999:


Annapurna-Umrundung
Trekkingtour unserer Sektion


Die beste Zeit für eine Annapurna-Umrundung ist wegen der klaren Sicht von Mitte Oktober bis Dezember. Da es jedoch Ende November in den höheren Regionen bereits bitter kalt wird, buchte ich unser vierwöchiges Abenteuer für die Zeit vom 23.10. bis 19.11.99, trotz der Gefahr eines Nachmonsuns, der gewöhnlich Ende Oktober auftritt.

Obwohl manche den Annapurna-Trek als „Coca-Cola-“ oder „Applepie-Trek“ bespötteln, birgt diese Tour ihre Gefahren in sich. Der Thorung La (La = Paß) mit seinen 5.415 Metern ü.N.N. ist nun mal kein Pappenstiel. Immer wieder fordert er Todesopfer. Eine Frau wurde während unseres Treks vom Thorung La Base Camp (4.440 m) per Hubschrauber ausgeflogen. Einen Tag später - sie hätte es nicht überlebt. Ein Mitglied unserer Sektion wurde voriges Jahr bei diesem Trek mit dem Summit Club höhenkrank und konnte den Paß nicht überqueren. Trotz Cola und Apfelkuchen - der Trek ist und bleibt ein Abenteuer, und die Paßüberschreitung ein hochalpines dazu. Deshalb hatte ich die Tour gewissenhaft vorbereitet und mich vor allem mit der gefährlichen Höhenkrankheit auseinandergesetzt. Und um genügend Zeit zu haben für zusätzliche Tage aufgrund eventueller Erkrankungen oder bei längerem Akklimatisierungsbedarf, veranschlagte ich für die Reise insgesamt vier Wochen. Den Vorteil hatten wir gegenüber dem Summit Club: Wir waren flexibel, da wir die Unterkünfte auf der Tour nicht gebucht hatten und auch gar nicht buchen konnten.

Pünktlich landete unsere Maschine der Royal Nepal Airlines am Samstag, den 23. Oktober ‘99, in Kathmandu (ca. 1.300 m). Auch die von unserem Hotel per Fax zugesagte Abholung vom Flughafen klappte einwandfrei. Erste Information: Eine Trekking-Erlaubnis ist nicht mehr erforderlich. Das ersparte uns einen Tag Zeit. Dafür mußten wir ca. 30,-- DM für die Wiederaufforstung des Annapurna-Naturschutzgebietes berappen. Immerhin für einen guten Zweck.

Eine Trekking-Agentur wurde uns schnell vermittelt. Sechs Träger fürs Gepäck von neun Trekkern für voraussichtlich 20 Tage. Nicht mehr als 23 kg pro Träger, wobei jeder von uns noch einen recht schweren Tagesrucksack zu tragen hatte. Man versprach uns, daß die Träger voll ausgerüstet und versichert sind. Die Fahrt zum Ausgangspunkt Besi Sahar per Tourist-Bus wurde gleich mitgebucht. Erste böse Überraschung am nächsten Morgen: Kein Tourist-Bus zu sehen; er war angeblich besetzt. Ja, aber wir hatten ihn doch gebucht!... Die Fahrt mit dem öffentlichen Bus wurde zum kleinen Abenteuer: Ständiges Anhalten zum Ein- und Aussteigen von Passagieren, vollgestopfter Bus - zum Glück hatten wir und unsere Träger Sitzplätze.

Zweite böse Überraschung in Besi Sahar (ca. 750 m), als wir nach spätem Mittagsmahl noch zum nächsten Ort aufbrechen wollten: Die Träger hatten überhaupt keine Ausrüstung zum Zusammenbinden und Tragen unserer Ruck- und Seesäcke. Zum Glück hatten einige von uns Reepschnüre und Bänder dabei. Dann erfuhren wir noch, daß die meisten unserer Träger Anfänger waren. Oh Gott, wenn das mal gut geht. Dritte böse Überraschung am nächsten Tag: Wegen der katastrophalen hygienischen Verhältnisse bekamen drei von uns Durchfall. Und das ging gerade so weiter: Einer bekam einen Sonnenstich und wollte schon umkehren. Einer mußte sich mehrmals übergeben. Die drei „Erstkandidaten“ wurden tagelang ihren Durchfall nicht los und ein vierter „Kandidat“ kam noch hinzu. Und dieses „Lazarett“ will über den Paß? Wie soll das funktionieren, wenn dann noch die Höhe dazukommt?

Die Unterkünfte, wie auch immer sie heißen - Hotel, Lodge oder Guest House -, sind primitive Schlafgelegenheiten, oft Bretterverschläge, bei denen es durch alle Ritzen zieht. Die Häuser sind meist mit einem Steinsockel oder einem Erdgeschoß aus Stein gebaut, und darüber aus Holz bzw. Brettern. Nur neuere Lodges werden bis unters Dach gemauert. Die sanitären Anlagen haben sich in den letzten Jahren gebessert, nur noch selten Plumpsklos, meist die südländischen Toiletten, bei denen man zum Spülen aus einem Eimer Wasser schöpft. Oftmals sind sogar Duschen vorhanden, die vor der Lodge auf Schildern groß angekündigt werden, z.B. „Solar Shower“. Diese sind wenigstens umweltfreundlich, aber man darf nicht zu spät duschen, wenn man noch warmes Wasser haben will. Immer ist ein Restaurant dabei, das manchmal mehr, manchmal weniger oder kaum diesen Namen verdient.

Zu essen und zu trinken gibt es reichlich. Immer mehr Lodges werden gebaut, um dem leider schon recht großen Touristenstrom Herr zu werden. Salat aßen wir nicht - zu riskant wegen der mangelnden hygienischen Verhältnisse - und auch kein Fleisch wegen der fehlenden Kühlmöglichkeiten. Aber Nudel-, Reis- und Kartoffelgerichte, Eierspeisen und manchmal sogar wohlschmeckende Backwaren wie Hörnchen boten eine gewisse Vielfalt. Und sogar gutes in Lizenz gebrautes spanisches und dänisches Bier bekommt man. Empfindlich darf man nicht sein. Das Geschirr wird auf dem Boden gespült, manchmal direkt neben dem Abfallhaufen. Fließendes Wasser ist dabei schon ein Fortschritt.

Wer die Annapurna-Runde gehen will, sollte es bald tun. Der Tourismus nimmt immer mehr zu, die Wege sind bereits überlaufen. Die Preise steigen, Kriminalität und Korruption haben ihren Einzug gehalten. In der Nähe des Poon Hills wurden bereits Einzeltrekker überfallen und der für die Gepäckabfertigung zuständige Bedienstete im Flughafen von Kathmandu bediente uns bevorzugt, forderte dann aber vehement ein diskret zu übergebendes Trinkgeld. 2 $ waren ihm zu wenig, er forderte fünf weitere, die ich aber mit einem lauten „No“ verweigerte. Zur Plage werden die Esel- und Maultierkarawanen, die die oft schmalen Wege versperren und mit ihrem Kot verdrecken. Es ist den Menschen allerdings nicht zu verdenken, daß sie die Lasten von ihrem Rücken auf die Tiere verlagern.

Der Trek wird dominiert von zwei Flüssen, der Marsyandi Khola (Khola = Fluß) und dem Kali Gandaki (Gandaki = Fluß). Tagelang folgt man der Marsyandi Khola bergauf, immer das Rauschen und Donnern der Wassermassen dieses reißenden Gebirgsflusses in den Ohren, mal laut direkt im Talgrund, mal leiser hoch oben über dem Fluß. Von oben bieten sich rasante Tiefblicke ins von riesigen glattgeschliffenen Felsbrocken übersäte Flußbett. Unzählige Wasserfälle donnern die Felswände hinunter. Lieblich anzusehende Reis- und Hirseterrassen schieben sich die Berge hinauf. Dörfer kleben an den steilen Hängen. Das Tal ist grün dank der sommerlichen Monsunregen.

Sehr erholsam ist es, daß der Weg völlig fahrzeugfrei ist. Kein Motorenlärm stört die Ruhe. Meistens ist der Weg auch recht gut, manchmal jedoch aufgrund von in der Monsunzeit niedergegangenen Schlamm- und Geröllawinen etwas abenteuerlich. Der Ort Bagarchap wurde 1995 durch eine solche Lawine völlig zerstört, wobei es viele Tote gab, darunter kanadische Trekker. Die meisten Hängebrücken wurden durch neue eiserne ersetzt. Auf den wenigen noch vorhandenen alten Brücken mit Holzdielen liegen meist flache Steine herum, die die durchgetretenen Löcher abdecken. Noch nie sind wir einen Weg mit so vielen Stufen gegangen. Allein die letzte Etappe nach Birethanti weist ca. 3.200 (!) Stufen auf.

Gewaltig sind die Dimensionen des Himalaya. Vor Pisang erhebt sich aus dem Talgrund die über 1.500 m hohe Paungda Danda-Felswand. In Pisang bogen wir rechts von der Hauptroute ab um am Nordufer der Marsyandi Khola zum Bergdorf Ngawal (3.650 m) aufzusteigen. Lange konnte man die hohen Berge nicht sehen. Nur der Manaslu (8.156 m) lugte ein paar Mal mit seinem schneeweißen majestätischen Gipfel über den grünen Bergen hervor. Doch nun tat sich ein phantastisch-gigantisches Panorama auf: Im Osten der Pisang Peak (6.091 m), im Süden reihen sich Annapurna II (7.937 m), Annapurna IV (7.525 m) und der gewaltige Gebirgsstock von Annapurna III auf, dessen Gipfel jedoch verdeckt ist. Imponierend der Kontrast zwischen dem Weiß des ewigen Schnees und der Gletscher gegenüber dem dunklen Grün und Braun der vorgelagerten Berge. Außer dem herrlichen Blick auf die Berge brachte uns der Abstecher auch Akklimatisierungsvorteile, zumal wir die nächste Nacht in Manang (3.540 m) etwas tiefer schliefen. Das herrliche Panorama begleitete uns nun. Im Nordosten Chulu East (6.584 m) und West (6.419 m), im Westen Gangapurna (7.454 m), Grande Barriere, dahinter der Tilicho Peak (7.134 m) und viele andere weiße Riesen mehr. Nur die Annapurna I bleibt verborgen.

Wir kamen höher und höher - und waren fit. Ein großes Kompliment an unsere anfangs Erkrankten: Sie hielten trotz ihrer erheblichen Schwächung durch, so daß wir nicht einen einzigen Tag verloren. Auf Wunsch aller kürzten wir sogar unser Akklimatisierungsprogramm um zwei Tage ab. Der höchste Punkt unserer Trekkingtour sollte nicht mehr länger auf uns warten. Gerne verließen wir am frühen Morgen das total überfüllte Thorung La Base Camp (Thorung Phedi, 4.440 m; Phedi = Fuß des Berges), um langsamen Schrittes den zunächst sehr steilen Weg zum Paß unter die Füße zu nehmen. Natürlich machte uns die dünne Luft zu schaffen, aber wir waren alle wohlauf. Einige gingen schneller, einige machten längere Pausen - auf dem Paß trafen wir uns wieder. Welch ein erhabenes Gefühl. 5.416 m hoch! Und wir waren topfit. Keiner hatte Kopfschmerzen, geschweige denn Anzeichen einer Höhenkrankheit. Gruppenfotos mit und ohne Träger am Thorung La-Hinweisschild, Umherspazieren, Trinken und Späße machen, bevor es auf der anderen Seite hinab ging: 1.600 Höhenmeter nach Muktinath (3.800 m).

Eine andere Welt tat sich auf. Das gewaltige Massiv des Dhaulagiri mit seinem Gipfel Dhaulagiri I (8.167 m) tauchte vor uns auf. Vorbei das Grün des Marsiandy-Tales. Eine mystisch wirkende steppen- oder gar wüstenartige Landschaft empfing uns. An religiöser Kultur gibt es auf dieser Seite der Annapurna viel mehr zu sehen. Die Heiligtümer passen vortrefflich in diese Landschaft. Die berühmte Pilgerstätte von Muktinath umfaßt einen hinduistischen Tempel mit 108 Speiern heiligen Wassers in Form von Kuhköpfen und einen buddhistischen Gompa (Tempel) mit der Heiligen Flamme, die an einer Erdgasdüse an der Heiligen Quelle gezündet wurde. Im mittelalterlich anmutenden Dorf Jharkot erlebten wir die buddhistischen Mönche auf dem Dach ihres Klosters bei ihren rhythmischen Gesängen und Gebeten, begleitet von der monotonen Trommel und belebt durch kraftvolle Trompetenstöße, die mir wie eine harmonische Disharmonie vorkamen. Stundenlang hätten wir diesen beeindruckenden und zu Herzen gehenden Riten zuschauen und zuhören können.

In Kagbeni erreichten wir das Kali Gandaki-Tal. Imposant wirkt der Ort von den Bergen herabgesehen mit seinem einer arabischen Kasba ähnelnden Zentrum. Schließlich war der Ort ein wichtiger Punkt an der Handelsstraße nach Tibet. Dann der erste Blick auf den Kali Gandaki. Beeindruckend das breite von Sand und Kiesel übersäte Tal, durch das sich der Fluß mäandert. Tagelang war nun der gemächlich dahinfließende Fluß unser Begleiter.

In Marpha erlebten wir ein Lama-Tanzfest, bei dem Mönche mit grausig anzuschauenden Gesichtsmasken zur Musik umhertanzten. Das tiefste Durchbruchstal der Welt zwischen den Achttausendern Annapurna und Dhaulagiri war allerdings insofern eine Enttäuschung, als man die vom Tal über 6.000 Höhenmeter aufragenden Berge nicht sehen kann, und ebenso nicht die schönste Stelle, eine grandiose Schlucht, wo der Kali Gandaki seinen gemächlichen Trott aufgibt und zum reißenden Gebirgsfluß wird. Früher konnte man direkt am Rande der Schlucht einen über weite Strecken in die Felsen gehauenen Weg gehen. Aber Geröllawinen haben ihn zerstört. Der Umgehungsweg bietet keinen Blick in dieses Naturwunder. In Tatopani genossen wir die zwar primitiven aber sehr heißen schwefelhaltigen Bäder. Auch der berühmte Sonnenaufgang auf dem Poon Hill (3.194 m) enttäuschte. Aber das Panorama war wie gewohnt phantastisch: Das breite Massiv des Dhaulagiri im Westen, im Nordosten aneinandergereiht Nilgiri (höchster Gipfel Nilgiri North mit 7.061 m), Baraha Shikhar (7.647 m), Annapurna South (7.219 m), Hiunchuli (6.441 m) und das Matterhorn des Himalaya, der gewaltige dreieckige Klotz des Machhapuchhare (6.993 m). Auf den Panorama-Postern steht zwar auch Annapurna I, aber ein Führer erklärte mir, daß dieser Gipfel nicht zu sehen sei. Birethanti war unsere letzte Trekkingstation. Im River Side Hotel saßen wir an der Modi Khola und lauschten dem rauschenden Wasser, das uns ein monotones Abschiedslied sang. Ein kurzer Weg am nächsten Tag brachte uns zum Bus und dieser nach Pokhara, wo wir zwei Erholungstage einlegten und unsere Träger mit einem reichlichen Trinkgeld verabschiedeten. Unsere anfänglichen Bedenken gegen die „Greenhorns“ waren schon nach wenigen Tagen verflogen. Unsere Träger leisteten gute Arbeit. Sie waren zuverlässig und hilfsbereit. Oft schickten wir einen oder zwei voraus, um Quartier für die nächste Nacht zu buchen, da die guten Unterkünfte rasch belegt waren. Ab und zu, besonders anfangs, als einige von uns krank waren, übernahmen die Träger auch noch den einen oder anderen unserer Tagesrucksäcke. Ohne die Kurzstrecken am ersten und letzten Tag hatten wir nur 16 Tage für die Umrundung benötigt, obwohl wir die Tagesetappen meistens nicht als strapaziös empfanden. - Unsere durch Training aufgebaute gute Kondition zahlte sich aus.

Von Pokhara aus hat man bei klarer Sicht einen phantastischen Blick auf eine ganze Reihe von Annapurna-Gipfeln, einschließlich des Annapurna I. Während unseres dortigen Aufenthaltes hüllten sich die Berge jedoch ständig in Wolken. Übers Wetter durften wir uns aber nicht beklagen: Ein halber Regentag in vier Wochen!

Ein richtiger Touristbus brachte uns schließlich nach Kathmandu zurück. Dort gab es noch ein ausgiebiges Besichtigungsprogramm, das von der Gruppe gemeinsam organisiert wurde.

Ein außergewöhnlicher Urlaub mit vielen bleibenden Eindrücken aus einer exotischen Welt ging zu Ende.

Alwin Müller