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Eine Wanderreise des Deutschen Alpenvereins, Sektion Neustadt an der Weinstraße:

Abruzzen

Eine dreiwöchige Wanderreise

vom 28. August bis 18. September 2004


Abruzzen - eine andere Welt, eine exotische Welt... Andere Landschaften, andere Dörfer, andere Menschen.

In diesem Land paaren sich Gegensätze wie Wildheit und Sanftheit zu einem bezaubernden, in südlichem Licht erstrahlenden Ensemble. Riesige uralte Buchenwälder wechseln ab mit nackten grauen Bergrücken und trostlosen Gesteinswüsten. Gewaltige Felsabstürze tauchen ein in sanfte Hochebenen und grüne Hügellandschaften.

Dörfer wie aus einer Märchenwelt. Verwinkelt, verschachtelt, mit engen, steilen, oft getreppten, teils sonnendurchfluteten, teils dunklen gespenstischen Gassen, die auch mittels Rundbögen unter den alten Häusern hindurchführen, die Mauern vorwiegend Sandstein in grau-braunen Farbtönen, im Erdgeschoß unterbrochen von sich dicht aneinanderreihenden verzierten Eingangstüren; so zeigen sich die Dörfer beim Hindurchschlendern. Aus der Entfernung sieht man, wie sie auf Bergkuppen thronen, sich unter Felsriegel ducken, sich auf schmalen Bergkämmen entlangziehen oder regelrecht am Steilhang der Berge kleben.

Die Menschen, die Abruzzesen, sind die Nachfahren stolzer, kriegerischer italischer Bergvölker. Auch die Denkmäler aus dem 2. Weltkrieg, fiel mir auf, sind dort kriegerischer als bei uns: Soldaten im Kampf, mit Gewehr, Handgranate und ähnlichem Kriegswerkzeug. Mein Reiseführer schreibt, die Abruzzen haben die niedrigste Kriminalitätsrate in Europa. Ich glaube, die Menschen sind zu stolz, um kriminell zu sein. Wir fühlten uns jedenfalls sehr sicher. Nicht zu vergessen, die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Mit dem Voruteil, die Italiener hätten nichts für den Umweltschutz übrig, muss aufgeräumt werden. Allein in den Abruzzen gibt es außer den Regionalparks drei ausgedehnte Nationalparks, den ältesten, den Parco Nazionale d'Abruzzo, dann den Parco Nazionale del Gran Sasso e dei Monti della Laga und den Parco Nazionale della Maiella.

Sieben Teilnehmer, Waltraud, Thomas, Andreas, Walheide, Friedrich, meine bessere Hälfte Ursula und meine Wenigkeit, machten sich mit einem Pkw und unserem Wohnmobil auf die Reise ins Abruzzen-Abenteuer. Interessenten gab es noch mehr, aber die lange Reise und die Übernachtungen auf Campingplätzen schreckten ab. Immerhin kamen etwas über 3.000 km zusammen.

Eine solche Wanderreise birgt Risiken. Aber wir hatten Glück. Alle Teilnehmer waren unkompliziert und flexibel. Und das Wetter spielte mit. Nass wurden die Zelte erst nach Ende der Bergtouren beim Ausruh-Tag an der Adria. Meine vorherige Aussage, dies sei die Tour mit der besten Wettergarantie, musste ich nicht revidieren. Etwas musste ich leider doch zurücknehmen. Vollmundig hatte ich Luigi als Dolmetscher und Entertainer angekündigt. Leider hatte er abgesagt. Dies war für mich Anlass, meinen avisierten Sprachführer für abruzzesische Gerichte auf die ganze italienische Speisekarte auszuweiten. So kam ein kleines Werk von über 500 Speisen, Getränken und damit verbundenen Begriffen zustande, von dem ich jedem Teilnehmer ein Exemplar überreichte. Übrigens: Die zweite, noch stark erweiterungsfähige Auflage ist in Arbeit.

Am ersten Tag erreichten wir in der Nähe von Parma einen Campingplatz mit Schwimmbad. Ein Genuss bei der Hitze! Am Abend des zweiten Tages lockte in Roseto degli Abruzzi das Meer zu einem kühlen Bade. Zur Einstimmung auf die Safranmetropole Navelli servierte ich als Digestiv nach einem deftigen Grillmahl einen feinen Safranlikör.

Nach der zweitägigen Anreise begann unser Programm mit Kultur. Die Abteikirche der Zisterzienser San Clemente a Casauria gilt als der berühmteste romanische Bau der Abruzzen. Die Gründung des Klosters wird dem Urenkel Karls des Großen, dem Frankenkönig Ludwig II. zugeschrieben. Popoli mit seiner auf einem Felssporn erbauten Kirche war das erste der märchenhaften Bergdörfer, die wir besuchten. Navelli ist ein sich wie ein Trapez den Berghang hinaufziehendes Dorf mit vielen zerfallenen Häusern, aber im Aufbruch, wie die meisten Dörfer. Überall wird restauriert, Gassen und Treppen werden neu gepflastert, ohne dass der Charakter der Orte verändert wird. Santo Stefano di Sessanio; schon der Name zergeht auf der Zunge. Eingebettet zwischen ockerfarbenen Hügelkämmen, überragt von dem runden Wehrturm mit herrlicher Aussicht, drängen sich die Häuser auf einem Hügel unter seinem Schutz. Und dann: Rocca Calascio, welch ein Kleinod! Fast 1.500 m hoch ducken sich die Häuser unterhalb eines Bergkammes, überragt von der an die Militärarchitektur der Staufer erinnernden restaurierten mächtigen Burgruine. Der Ort war lange Zeit unbewohnt, doch heute "blüht neues Leben aus den Ruinen".

Auf einem Plateau haben wir unsere "Tavola bella vista", sprich unsere Campingtische und -stühle aufgebaut und die abruzzesische Spezialität Maccheroni alla chitarra mit Tomatensoße gekocht. Dazu tranken wir den dunklen gehaltvollen Rotwein Montepulciano d'Abruzzo aus der 5-Liter-Pulle und genossen die Abendstimmung mit dem prachtvollen Bergpanorama. Diese Pasta, muss ich noch anmerken, sieht aus wie eckige Spaghetti, schmeckt jedoch feiner. Der Teig wurde ursprünglich durch die Seiten einer "chitarra", einem gitarreähnlichen Gestell mit mehreren über einen hölzernen Rahmen gespannten Drähten gedrückt.

Einer weiteren Perle unter den Bergdörfern, Castel del Monte, statteten wir am nächsten Morgen noch einen Besuch ab. Wie der Name ahnen lässt, ist es ein altes Wehrdorf, das wie ein Schwalbennest am Berg haftet. Doch dann endlich im Gran Sasso-Massiv unsere erste Bergtour vom Rifugio Fonte Vetica über den Monte Tremoggia (2.331 m) auf den Monte Camicia (2.564 m), dessen Gipfelstumpf einem Bündel von Säulen gleicht. Starker Wind machte uns zu schaffen. Für unsere Rast, bei der wir die ersten Käsespezialitäten kosteten, mussten wir ein geschütztes Plätzchen suchen. Doch auf dem Gipfel bescherte uns Petrus bestes Panoramawetter. Nach Süden Blick auf die riesige karge, eintönige und dennoch liebliche Hochfläche Campo Imperatore (kaiserliches Feld, zu Ehren des Stauferkaisers Friedrich II. so genannt) mit seinen mäandernden ausgetrockneten Flussbetten und Geröllströmen. Nach Norden kolossale bis zu 1000 Meter senkrechte Felsabstürze, Abgründe, die abrupt in den grünen Hügeln der Küstenlandschaft enden. Im Westen ragt unser nächstes Ziel empor, die Felspyramide des höchsten Berges der Apeninnen, der Corno Grande - Vetta Occidentale.

Der Corno Grande mit seinem 2.912 m hohen Gipfel Occidentale ist der einzige Gebirgsstock der Apenninen mit hochalpinem Charakter. Man fühlt sich in die Dolomiten versetzt. Er ist so wild, gewaltig, zerklüftet, zerfurcht, überragt von Pfeilern und Türmen, ein Tohuwabohu aus Gestein. Da der Rifugio Fonte Vetica geschlossen war, steuerten wir gleich den Campingplatz in Fonte Cerreto an, wo wir die Zelte vier Nächte stehen ließen. Am nächsten Tag fuhren wir mit der Seilbahn zum Albergo Campo Imperatore, von wo aus wir den Normalweg zum höchsten Gipfel unter die Füße nahmen. Oberhalb der Sella del Brecciaio sahen wir zwei Wegvarianten vor uns. Rechts der kürzere luftige Weg über den Grat, geradeaus der einfachere Weg durch die steil abfallende Geröllmulde, den wir gingen. Aber auch der hat es in sich. Es war eine ganz schöne Plackerei über Geröll und steilen Fels, bei der wir oft die Hände zu Hilfe nehmen mussten. So alpin hatte ich mir dieses Massiv nicht vorgestellt!

Welch ein Ausblick vom Gipfel! Leider zogen dichte Wolken empor, aber uns wurde noch der spektakuläre Blick hinunter über die Felsabstürze auf die liebliche Weite des Campo Imperatore vergönnt, ebenso wie der fast senkrechte Blick in ein gewaltiges Kar, das den südlichsten Gletscher Europas birgt. Da die Wolkendecke bedrohlich zunahm, eilten wir, so schnell es das steile Gelände zuließ, hinunter zum Rifugio Franchetti, wobei wir auch eine Via ferrata zu überwinden hatten. Leider ließen nur Wolkenlücken Blicke in dieses Naturtheater von aufstrebenden Wänden und Felsnadeln zu. Weiter ging's hinab zum Hotel in Prati di Tivo. Da ich von der Vortour her wusste, dass der Lammbraten hier hervorragend zubereitet wird, ließen sich die meisten von uns Agnello alla Cacciatora (nach Jägerart) schmecken. Am nächsten Tag war der Wolkenspuk wie weggeblasen. Durch das cañonartige Tal des Rio Arno und die Val Maone gelangten wir auf einen Kammweg mit grandioser Aussicht, wobei wir noch den Monte Portella (2.385 m) überschritten. Im Gran Sasso-Gebiet begegneten uns viele Wanderer, so auch eine 18-köpfige Gruppe des DAV Ulm.

L'Aquila, die Hauptstadt der Region Abruzzo, mit der magischen Zahl 99, besuchten wir per Bus. Der Überlieferung nach waren die Bewohner von 99 umliegenden Kastellen die ersten Einwohner der Stadt. Es sollen 99 Stadtviertel, 99 Kirchen und 99 Brunnen bestanden haben. Das heutige Wahrzeichen der Stadt ist die Fontana delle 99 Canelle. Der Brunnen hatte früher jedoch nur 93 Wasserspeier. Also wurden noch sechs einfache Röhren hinzugesetzt - Hauptsache, es sind 99. Ein gewaltiges Kastell birgt das Nationalmuseum der Abruzzen mit Kunstwerken der Region und einem riesigen, fast vier Meter hohen versteinerten Skelett eines 1954 in der Umgebung gefundenen Mammuts. Die Stadt bietet keine Aufsehen erregenden Sehenswürdigkeiten, aber viele schöne Bauten, Paläste, Gassen und Plätze mit Brunnen. Überall sprudelt Wasser. An einem Imbissstand des Marktes auf dem Domplatz genossen wir ein Brötchen mit Porchetta (gut gewürztes gefülltes Spanferkel).

Vom Programm sind wir des öfteren abgewichen. Also besichtigten wir noch "Le Grotte di Stiffe". Nicht die Tropfsteine sind das Beeindruckendste dieser Höhle, sondern die großen Säle. Auf keinem Werbesprospekt fehlt das Foto von dem mehrere Meter hohen Wasserfall, der sich in einen See hinabstürzt. Von der Natur zur Kunst: In der unscheinbaren Kirche Santa Maria delle Grotte aus dem 13. Hh. wurden die Wände in ihrer gesamten Höhe von unbekannten Malern mit zwei faszinierenden Freskenzyklen geschmückt. Am späten Nachmittag fuhren wir noch nach Celano mit seiner alles überragenden Festung und campierten frei am Ausgang der gleichnamigen Schlucht gleich neben dem Wohnmobil eines Reutlinger DAV-Mitgliedes.

Wir lebten nicht schlecht. Abends tranken wir gewöhnlich zunächst Bier als Durstlöscher. Die italienische Sorte Birra Moretti, mit dem Schnauzbart und grünen Filzhut tragenden Biertrinker auf dem Etikett, schmeckt richtig gut. Ein Glück, dass wir das Wohnmobil und damit einen Kühlschrank dabei hatten - bei der Hitze! Allerdings konnte dieser mit unserem Durst kaum Schritt halten. Und so legte ich meistens noch rechtzeitig drei Flaschen ins Eisfach. Als Aperitif gab's z.B. einen zarten Grappa aus der Montepulciano d'Abruzzo-Rebe oder den Kräuterlikör Centerbe (hundert Kräuter). Zum Essen tranken wir dann Rotwein. So geschah es auch an diesem schönen lauen Septemberabend am idyllischen Schluchtausgang.

Apropos Wohnmobil: Natürlich lebt man darin luxuriöser als im Zelt. Aber dafür, das möchte ich schon erwähnen dürfen, leisteten Ursel und ich auch einen Service, wie das Kühlen von Speisen und Getränken, das morgendliche Kochen von drei Thermoskannen Kaffee, das Nachtessen Kochen bis hin zu verschiedenen Arbeiten, wenn die anderen die Zelte abbauten.

Apropos Kaffee: Wir hatten uns ein wenig der Landessitte angepasst. Die Italiener sind große Kaffeetrinker. Meist wird jedoch der Espresso getrunken, der in Italien "cafè" heißt. Wem der zu stark und zu wenig ist, trinkt einen cafè lungo mit etwa doppelt so viel Wasser. In der Bar bekamen wir ihn sehr preiswert, manchmal sogar für 65 Cent. Wenn es sich ergab, genossen wir auch nach dem Mittagessen einen cafè corretto, einen mit einem Schuss Grappa "korrigierten" Espresso. Der selbstgemachte stammte allerdings von Nescafé, schmeckt aber auch gut. Mein morgendlicher Aufruf "Kaffee ist fertig" bezog sich jedoch auf den gewohnten Kaffee von zu Hause.

Die fünf Kilometer lange Schlucht von Celano ist gewaltiger und wilder, als ich sie mir vorgestellt hatte. Die bis zu 100 Meter hohen senkrechten Wände rücken an einigen Stellen eng zusammen und garantieren ein faszinierendes Wanderrlebnis. Nur die "Quelle der Verliebten", deren Wasser laut Wanderführer aus der Decke einer Grotte rieseln soll, enttäuschte. Die Grotte ist nichts anderes als ein kleiner Felsvorsprung mit Wasserfall. Aber der Name der Grotte verpflichtet, also ließen sich Ursel und ich küssend, hinter dem Wasserfall stehend, ablichten. Da sich mein Fotoapparat aufgrund der diffusen Lichtverhältnisse nicht so recht entscheiden konnte, was er machen soll, musste die Kussszene mehrfach wiederholt werden. Wenigstens wurden Walheide und Andreas dadurch erfolgreich animiert, gleiches zu tun.

Am Nachmittag schoben wir noch den Besuch der römischen Ausgrabungsstätte Alba Fucens ins Programm. 30.000 Menschen wohnten einst in diesen Mauern, von denen das Amphitheater noch gut erhalten ist. Die romanische Benediktinerkirche San Pietro, an der Stelle des antiken Apolloheiligtums erbaut, enthält viele Bruchstücke römischer Bauten. - Übernachten wollten wir im Rifugio del Diavolo. Aber die wollten uns nicht haben. Es war eine Gruppe da und angeblich kein Platz mehr. Campieren durften wir im genügend Platz bietenden Gelände auch nicht. Eine Ausnahme bezüglich Freundlichkeit! So fuhren wir weiter bis Opi, einem sich kühn auf einem Felsriegel entlangziehenden Dorf, dessen Mauern in der Abendsonne goldbraun glänzten. Auf dem Campingplatz Il Vecchio Mulino (Alte Mühle) konnten wir somit arbeitsparend gleich vier Mal übernachten.

Wir starteten zu unserer ersten Tour im Nationalpark Abruzzen von Pescasseroli aus, wo ich - zum Glück das einzige Mal - nicht gleich den Einstieg fand. Hierbei muss erwähnt werden, dass Ursel und ich bei unserer Vortour im Frühjahr wegen des außergewöhnlich vielen Schnees und schlechten Wetters keine einzige Wanderung zu Ende führen konnten. Die Einstiege, Campingplätze und vieles mehr hatten wir jedoch erkundet.

Herrliche Buchenwälder mit uralten knorrigen Baumbeständen spendeten uns lange Zeit angenehmen Schatten. Wir folgten dem Rat des Reutlinger Bergkameraden zu einer Rundwanderung. Wir ließen den programmgemäßen Monte Tranquillo links liegen und begaben uns nach rechts zu einer Kammwanderung mit grandioser Aussicht, bei der wir gleich mehrere Gipfel überschritten. In Pescasseroli kaufte ich in einem im Reiseführer erwähnten Käsespezialgeschäft ein, so dass es abends als Nachtisch Käsevarianten gab. Um nur ein paar Sorten zu erwähnen: Bei uns vielleicht am bekanntesten ist der Pecorino, ein Schafsmilch-Hartkäse, der jung zu fade, alt zu scharf, aber mittelalt einen kräftigen, leicht scharfen Geschmack aufweist. Der Caciocavallo - nein, kein Käse aus Pferdemilch - trägt diesen Namen, weil man ihn paarweise zusammengebunden, also "a cavallo", rittlings, über Stangen zum Reifen aufhängt. Den Mozzarella gibt es noch aus Büffelmilch, meist wird jedoch Kuhmilch beigemischt. Den Scamorza bekommt man auch gegrillt im Ristorante.

Die nächste Rundwanderung zum Monte Marcolano (1.940 m) begann am Rifugio del Diavolo. Nicht nur Silberdisteln, auch eine Vielzahl Golddisteln säumten unseren Weg. Obwohl diese Gegend laut Wanderführer der ruhigste Teil des Schutzgebietes ist, trafen wir leider auch hier auf keine Bärenspuren. Auch Wölfe bekamen wir auf freier Wildbahn nicht zu Gesicht. Aber plötzlich erhaschten unsere Blicke direkt vor uns eine Herde Wildschweine von mindestens zehn Tieren, die gerade in den Wald flüchteten.

Unsere Wanderung in der Camosciara, im Herzstück des Nationalparks, war eine recht anspruchsvolle Tour mit über 1000 Höhenmetern Differenz. Bis zum Bärenpass marschierten wir lange entlang eines plätschernden Gebirgsbaches durch urige Buchenwälder, danach ging's steil und rutschig hinunter ins Tal Tre Confini und dann schattenlos in der gleißenden Nachmittagssonne 450 Hm hinauf auf einen Sattel zu einem geschlossenen Rifugio. Bänke und Tische luden jedoch zur Rast ein, zu einer Rast, die sich lohnte. Drei Apenninen-Gämsen wagten sich bis auf wenige Meter zu uns heran. Da klickten die Fotoapparate! Diese Tiere haben ein längeres Gehörn als ihre Verwandten der Alpen und eine schöne schwarzweiße Halszeichnung. Unterwegs hatten wir wieder eine deutsche Gruppe getroffen, diesmal mit einem abruzzen-erfahrenen Wanderreisenunternehmer. Von ihm erfuhren wir die Glanzlichter der beiden Abstiegsvarianten. Wir entschieden uns gegen die Strecke mit alten Baumbeständen und für die Val di Rose mit herrlichem Blick auf den Lago di Barrea und mit der Wahrscheinlichkeit, Gämsen beobachten zu können. Und tatsächlich - mehrere Herden mit 20 bis 30 Tieren ließen sich durch uns nicht stören. Noch schnell ein Bier in einer Bar in Civitella Alfedena, und der Bus brachte uns zurück zum Campingplatz.

Nach der Besichtigung des recht uninteressanten Wolfsgeheges wartete wieder eine Perle von einem Dorf auf uns: Scanno, ein belebter orientalisch geprägter, sich malerisch an einen Berghang schmiegender Ort mit vielen getreppten Gassen, mit kunstvoll geschwungenen Torbögen und gemeißelten Wappen. Auf einem Campingplatz direkt über dem Lago di Scanno ließen wir uns nieder. Die Abendstimmung beim Blick über den See und auf die umliegenden Berge und im Dunkeln auf das Lichterband eines 300 Meter höher gelegenen Dorfes war besonders schön.

Der nächste Tag bescherte uns abenteuerliche Spazierfahrten durch die Gole di Sagittario (Schützenschlucht) und hinauf zu dem auf einem schmalen Felsriegel gelegenen Ort Castrovalva. Ein Dorf wie aus dem Märchenbuch, so wie die anderen Dörfer, nur irgenwie noch uriger. Das langgestreckte Dorf misst in der Breite nur wenige Meter von einem Abgrund zum anderen. Auch Anversa degli Abruzzi ist ein wunderschönes Dorf, verblasste aber im Vergleich zu dem vorher Gesehenen. Zurück zum Campingplatz erfrischten wir uns mit einem kurzen Bad im kalten Wasser des 992 m hoch gelegenen Sees.

In Sulmona, der Heimatstadt des weltberühmten römischen Dichters Ovid, besuchten wir zuerst die Confetti-Fabrik Mario Pelino mit einem kleinen aber feinen Museum. Confetti sind Blumensträuße aus mit Zuckerguss überzogenen Mandeln. Pelino stellt auch hervorragende Liköre her, wie z.B. den Amaro, einen bittersüßen typisch italienischen Kräuterlikör. Kein Wunder, dass wir hier unseren Aperitif-Vorrat wieder auffüllten. - Entlang der belebten Hauptgeschäftsstraße erreichten wir den im 13. Jh. erbauten Aquädukt, der 600 Liter Wasser pro Sekunde herbeiführte, und der Stadt, die der Stauferkaiser Friedrich II. dank der Kaisertreue zur Hauptstadt der Abruzzen erhob, durch ein blühendes Gewerbe zu Reichtum verhalf. Auf das Flair des farbenfrohen und duftenden Marktes auf der historischen Piazza Garibaldi freuten wir uns besonders. Oh Schreck, war das eine Enttäuschung! Aufgrund der Skaterweltmeisterschaften wurde der Markt nach außerhalb verlegt und der Platz mit Zelten und Buden gespickt, die gerade abgebaut wurden.

So kehrten wir Sulmona bald den Rücken und legten noch unprogrammgemäß einen Besuch des Dorfes Pacentro ein. Die drei hohen, schlanken Türme des Kastells erinnern an die Geschlechtertürme von San Gimignano in der Toskana. Und nochmals wartete bei Campo di Giove ein Campingplatz mit phantastischem Bergpanorama auf etwas über 1000 Meter Höhe auf uns.

Die Dörfer sind so faszinierend, dass die Mehrheit beschloss, auch noch dem Bergdorf Pescocostanzo auf 1.395 Metern Höhe einen Besuch abzustatten. Ein für die Abruzzen atypisches Dorf. Der einst durch eingewanderte lombardische Handwerker reich gewordene Ort besteht zum Großteil aus Barockbauten. Der Prunk in den Kirchen ist noch heute ein Zeugnis jener Zeit.

Hinauf mit der Seilbahn zur Grotta del Cavallone! Aber, ich konnte es kaum fassen, die Bahn fuhr wegen Reparaturarbeiten nicht. Da war natürlich auch die Höhle geschlossen. Schweren Herzens fuhren wir weiter zum Campingplatz in Lama dei Peligni. Oh nein! Auch geschlossen, trotz gegenteiliger Auskunft. Mochte die Maiella, die Montagna madre, uns Touristen nicht? Anscheinend ist sie nur die "Große Mutter" der Einsiedler, Briganten, Partisanen und Verfolgten.

Aber wir machten das Beste daraus. Ich erinnerte mich an einen idyllischen Picknickplatz am Rande der berühmten Nudelstadt Fara San Martino direkt an einem kleinen ummauerten See. Aus allen Ecken und Enden sprudelt das Quellwasser für die Nudelfabriken hervor. Nach ausgiebigem Mahl unternahmen wir eine wunderschöne Nachmittagswanderung in die Valle di Santo Spirito. Man steigt durch einen schmalen Spalt mit 100 Meter hohen senkrechten Felswänden in die Schlucht ein. Nach ca. 100 Metern öffnet sich der Spalt zu einem breiten Tal mit kaum weniger spektakulären Felswänden. Ockerfarben schimmernde und schwarze, verwitterte Wände, mit unzähligen Aushöhlungen, Balkonen, Überhängen und Kaminen bieten sich dem Auge des Wanderers.

Wir fuhren weiter mit der bangen Frage, wo wir wohl heute Nacht unsere müden Glieder ausruhen könnten. Ob es in Pennapiedimonte ein Hotel gibt? Welch ein Anblick bietet dieses Dorf von unten vom Tal aus. Es klebt förmlich an einem unglaublich steilen Abhang, nicht am Fuß des Berges, wie der Name verrät, sondern etwa auf halber Höhe. Und es gibt ein Hotel! Ursel und ich durften im Wohnmobil im Hof übernachten. Das preiswerte und hervorragende Abendmenue nahmen wir alle zusammen ein.

Die nächste Schlucht erwartete uns. Man geht lange Zeit schattenlos auf halber Höhe der Avelloschlucht. Dann taucht man in einen Wald ein, und der Weg verläuft schön direkt oberhalb des Bachbettes aus weißem Kalkgestein. Doch dann der nächste Affront! Der laut Karte abzweigende Weg, der unsere Tour zu einer Rundwanderung machen sollte, existiert nicht mehr. Also zurück! Vor der Bar mit schönem Blick in die Schlucht hielten wir Siesta. Und doch rappelten wir uns auf für die nächste Halbtagestour zur Cascata di San Giovanni. Ein schönes Tal mit Alpenveilchen, wie ich sie noch nie in solchen Mengen gesehen hatte. Und der Wasserfall überraschte. Von einem leicht überhängenden Dach eines felsigen Kessels ergießt sich ein Strahl wie aus einem Wasserspeier in ein Becken. Zum Tagesabschluss fuhren wir steil hinauf zum Campingplatz am Passo Lanciano. Der schlechteste Platz unserer ganzen Reise! Ach wären wir doch noch eine Nacht in dem schönen Hotel geblieben!

Die letzte Wanderung, einen Tag früher als im Programm vorgesehen. Ein krönender Abschluss mit einer Kammwanderung auf der Maiella, diesem langgestreckten Bergrücken mit Geröllkegeln und Pyramiden, umrahmt von weiten, schuttreichen Hochebenen. Was für eine Welt! So grau, so unendlich wüst und doch von fesselnder Schönheit. - Wir fuhren bis zum Blockhaus. Das heißt wirklich so - ein aus dem Deutschen übernommenes Wort. Das letzte Mal Schwitzen in gleißender Sonne beim Aufstieg. Vor dem Bivacco Fusco legten wir eine gemütliche Mittagsrast ein, die sich jedoch motivationshemmend auswirkte. Dennoch marschierten wir noch alle über den Monte Focalone (2.676 m) zum Monte Acquaviva (Quellwasser-Berg; 2.737 m). Viel Schutt gab's, aber kein Wasser. Kurz nachdem ich bemerkte, dass es hier überhaupt keine Gämsen gebe, entdeckte ich in der Ferne ein großes Oval. Was war das? Eine Herde Gämsen! Schwierig zu zählen. Doch es waren mindestens 50 Tiere! Wir kamen näher, sie liefen ein Stück weg, blieben wieder stehen. Lustig anzuschauen, wie sich die vielen Beine plötzlich in Bewegung setzten.

Von dem Campingplatz hatten wir die Nase voll, deshalb rauschten wir noch am Abend an die Adria. Am nächsten Tag dann ein heftiges Gewitter bereits zur Mittagszeit. Ein Glück, dass wir unsere Wanderungen am Tag zuvor beendet hatten. Für den Nachhauseweg nahmen wir uns drei Tage Zeit. Erster Stop in Parma, einer lebendigen Stadt mit einem sehr schönen Zentrum. Der Campingplatz liegt in der Stadt in der alten Zitadelle. Eine letzte Übernachtung am Vierwaldstättersee beschloss unsere dreiwöchige Wanderreise.

                                                                                                                      Alwin Müller

Hilfreiche Literatur:
Georg Jung: Wanderungen in den Abruzzen, Verlag J. Berg, München, 1991
Christoph Hennig: Mittelitalien, DuMont Richtig Reisen, Köln 2002
Susan Conte: Italien, Schlemmen & Genießen, Polyglott Verlag, München, 2. Auflage 2003