Vier Straßen im Afrikaviertel werden umbenannt, da die
namensgebenden Männer eine unrühmliche Vergangenheit hatten:
Von-Wißmann-Str., Lüderitzstr., Gustav-Nachtigal-Str. und
Karl-Peters-Str.
Aus der Tageszeitung "Die Rheinpfalz", Artikel von Anke Herbert, 30. März 2023:
Straßenumbenennungen
im Afrikaviertel? Die Debatte der Stadt mit Anwohnern hat ein
überraschendes Ergebnis gebracht. Diskutiert wurde sogar schon über
neue Bezeichnungen.
Das Afrikaviertel
Axtwurf-
und Hauberanlage, Leibniz-Gymnasium, Humboldtstraße, Am Waldrand – im
Afrikaviertel erinnert nicht übermäßig viel an den Kontinent. Früher
hieß das Gebiet im Südwesten von Neustadt Neuberg. 2016 hat sich ein
Afrikaviertel-Verein gegründet, der sich um Denkmal- und
Landschaftspflege kümmern sowie bürgerschaftliches Engagement bündeln
will. Gefeiert wird ein Hauberfest, 2023 am 7. August. Von den
Straßennamen haben nur vier etwas mit Afrika zu tun. Und genau diese
stehen nun zur Debatte, wobei ein Name ein ganz besonderer Fall ist.
Wer hat die Straßen benannt?
Das
Baugebiet Neuberg wurde in den 30er-Jahren angelegt. 1938 wurden von
dem damals bereits seit fünf Jahren gleichgeschalteten Stadtrat vier
Straßen kommentarlos nach Kolonialisten benannt. Damals, so ergaben
Forschungen der Würzburger Wissenschaftlerin Verena Ebert, geschah das
vielerorts, sei also typisch für die NS-Zeit gewesen. Reichsweit habe
sich der „Reichskolonialbund“ dafür eingesetzt. In den Jahren vor 1933
sei das nur vereinzelt geschehen, zumal einige Namensgeber schon im
Kaiserreich wegen ihres brutalen Vorgehens in den Kolonien kritisiert
wurden.
Drei und ein Sonderfall
Drei
der früher als „Kolonialpioniere“ bezeichneten Männer, nach denen im
Afrikaviertel Straßen benannt wurden, waren Adolf Lüderitz (1834-1886),
Hermann von Wissmann (1853-1905) und Gustav Nachtigal (1834-1885). Der
vierte im Bunde war Karl Peters (1856-1918). Über ihn, der wegen seiner
Grausamkeit schon im Kaiserreich als „Hänge-Peters“ bezeichnet und 1897
aus dem Dienst entlassen worden war, hatten sich Leibniz-Schüler Anfang
der 90er-Jahre schlau gemacht und eine Umbenennung gefordert. Zwei
Versuche des Stadtrats, der Straße einen neuen Namen zu geben,
scheiterten am Widerstand von Anwohnern. Letztlich gab es eine
Umwidmung: 2012 wurde der Name dem Strafrechtsexperten Karl Peters
(1904-1998) zugeschlagen, so geschehen auch in Kaiserslautern. Aber:
Dieser Karl Peters wiederum hat eine NS-Vergangenheit, was vielerorts
erst nachträglich bekannt wurde.
Die Anwohnerversammlung
Anhand eines wissenschaftlichen Straßennamengutachtens hat der Stadtrat entschieden, über jene vier im Afrikaviertel sowie die Karl-Helfferich-Straße zu diskutieren.
Das geschieht auch in für jedermann offenen Anwohnerversammlungen.
Entscheiden wird aber der Stadtrat. Zu den „Kolonialpionieren“ konnten
am Mittwoch im „Leibniz“ Anwohner ihre Meinung äußern, gut 60 waren
gekommen, ebenso etliche Stadtratsmitglieder. Zuvor gab es Einführungen
vom Mitautor des Gutachtens, Daniel Kroiß, sowie von der Würzburger
Philologin Verena Ebert. Sie bedankte sich dafür, als Expertin erstmals
von einer Kommune eingeladen worden zu sein.
Die Debatte
Unter
den Zuhörern am Mittwoch waren sowohl langjährige Bewohner des
Afrikaviertels als auch vor einigen Jahren oder erst vor Kurzem
Zugezogene. Ebenso gemischt war die Altersstruktur. Der Tenor der
öffentlichen Redebeiträge: Die Zeit ist reif, die Straßen umzubenennen.
Bedauert wurde, dass bei der Umwidmung der Karl-Peters-Straße noch
einmal ein Mann geehrt worden sei, der das nicht verdient habe.
Alternative Straßennamen
In
der Versammlung sprachen Anwohner auch alternative Straßennamen an. Die
Ideen reichten von Namen von Personen oder Volksgruppen, die sich gegen
den Kolonialismus oder später gegen die Apartheid wehrten, über
Vorkämpfer der Demokratie aus Neustadt oder Neustadter NS-Opfer bis hin
zu neutralen Bezeichnungen mit Bezug zum Quartier. Egal wie: Die neuen
Namen sollen eingänglich und leicht zu schreiben sein.
Was wird aus dem Afrikaviertel?
Kann
sich der Name Afrikaviertel halten, wenn kein Bezug mehr zu dem
Kontinent besteht? Und wie stark identifiziert man sich überhaupt
damit? Auch darüber tauschten sich die Anwohner aus. Verwiesen wurde
auf andere Namen wie Neuberg und auf andere Straßen wie Am Waldrand,
Humboldt- oder Julius-Wilde-Straße, die ohnehin nichts mit Afrika zu
tun hätten. An die Adresse des Afrikavereins wurde von einer Anwohnerin
die Bitte gerichtet, die Geschichte der Straßen, ihrer bisherigen
Namensgeber und der aktuellen Debatte darzustellen, weil das auch aus
pädagogischen Gründen nicht vergessen werden dürfe.
Wie es weitergeht
Bis
zur Sommerpause wird der Stadtrat laut Oberbürgermeister Marc Weigel
entscheiden, ob umbenannt wird oder nicht, und dann das weitere
Vorgehen festlegen. Über die Meinungsäußerungen in den Versammlungen
wird das Gremium ebenso informiert wie über die Meinungen, die per
E-Mail an die Stadt geschickt werden. Zur Karl-Helfferich-Straße hat
der OB sich bereits positioniert und will dem Stadtrat die Umbenennung
vorschlagen, wie es die SPD 2019 gefordert hatte. Davon, dass es in der
Anliegerversammlung für die vier Afrikaviertel-Straßen ein klares Votum
pro Umbenennung gab, wurde er nach eigenen Worten überrascht.
Vorschlagen will Weigel dem Stadtrat zudem, dass die Anwohner wieder
einbezogen werden, sollten neue Straßennamen gefunden werden müssen.
„Wir bleiben im Gespräch“, versprach er.
Umbenennung von Straßennamen in Neustadt - 1. Vorschlagsrunde läuft
Neustadt. In Neustadt an
der Weinstraße werden die Karl-Helfferich-Straße sowie vier
Straßen im so genannten Afrikaviertel
(Gustav-Nachtigal-Straße, Lüderitzstraße,
Von-Wissmann-Straße und Karl-Peters-Straße) umbenannt. Der
Stadtrat hat in seiner letzten Sitzung das Procedere festgelegt.
Demnach sind zunächst die Einwohnerinnen und Einwohner aufgerufen,
Vorschläge für neue Namen – möglichst mit
Begründung – einzureichen. Stichtag ist Samstag, 17. Juni.
Vorschläge können online über
www.neustadt.eu/UmfrageNamensvorschlaege oder per Mail an
strassennamen@neustadt.eu übermittelt werden. Dabei sind
verschiedene Kriterien wie der Ausschluss lebender Personen,
Eindeutigkeit und Vermeidung von Doppelbenennungen zu beachten. Sofern
die Straßen nach Personen benannt werden, sollen sich diese
beispielsweise durch einen Einsatz für das Gemeinwohl, für
Demokratie und Rechtsstaat verdient gemacht haben oder durch besondere
Leistungen in Wissenschaft, Kunst, Literatur, Musik und Sport
auszeichnen. Mehr Informationen unter
https://www.neustadt.eu/straßennamen.
Danach prüft die Verwaltung alle Vorschläge. Eine
Arbeitsgruppe erarbeitet dann eine vorläufige Empfehlung. Danach
folgt wiederum eine Vier-Wochen-Frist, in der Einwohnerinnen und
Einwohner dazu Stellungnahmen abgeben können, bevor die
Arbeitsgruppe eine abschließende Empfehlung für den Stadtrat
formuliert.
Aus "Stadtanzeiger Neustadt" 1. Mai 2023